Einmal im Jahr wird seit 2022 der „Preis für reflektierte Governance-Praxis“ der Expertenkommission D-PCGM für Abweichungsbegründungen und Good Practices in Entsprechenserklärungen zu Public Corporate Governance Kodizes verliehen. Der Preis wird von der PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC) gestiftet. Erstmalig wurde er am 8. September 2022 auf dem ZU|kunftssalon Public Corporate Governance verliehen.

„Good Governance“ und verantwortungsvolle Organisationsführung bei öffentlicher Verwaltung und öffentlichen Unternehmen sind für Staat und Gesellschaft von besonderer Bedeutung. In der Diskussion um Public Corporate Governance wird einschlägig und vorherrschend betont, dass anforderungsgerechte Public Corporate Governance Kodizes (PCGKs) in den Gebietskörperschaften hilfreiche und wichtige Beiträge leisten können. PCGKs spielen im Kontext der Steuerung, Aufsicht und Leitung von und in öffentlichen Unternehmen eine besondere Rolle. Sie sollen Grundcharakteristika des Public Corporate Governance Systems kompakt zusammenfassen und verständlich machen sowie regelmäßig auftretende Fragen der Governance, Unklarheiten oder Lücken in Gesetzen gezielt adressieren und damit unterstützende Hinweise geben.

Eine reflektierte Führungskultur ist gerade auch in öffentlichen Unternehmen ein zentraler Faktor, die durch PCGKs gezielt gefördert werden kann. Zum Ausschöpfen der Potenziale von PCGKs wird die Bedeutung des comply-or-explain Prinzips einschlägig betont und gilt als anerkannter Reflexions- und Wirkmechanismus (Aguilera & Cuervo-Cazurra, 2009; Cuomo et al., 2016; Europäische Kommission, 2014; Expertenkommission D-PCGM, 2022; Martynova & Renneboog, 2013; Papenfuß, 2013; Tricker & Tricker, 2015; Wright et al. 2013). Das comply-or-explain Prinzip sieht ausdrücklich vor, von Empfehlungen eines PCGK situationsgerecht abweichen zu können. Eine Abweichung von einer Empfehlung ist nicht als Mangel zu verstehen; sie ist in begründeten Fällen ein Ausdruck guter Public Corporate Governance. Abweichungen müssen in einer Entsprechenserklärung lediglich offengelegt und begründet werden. PCGKs formulieren ausdrücklich, dass von Empfehlungen abgewichen werden kann und dies nicht als Mangel zu verstehen ist, sondern in begründeten Fällen ein Ausdruck guter Public Corporate Governance ist (u.a.: Berlin [Vorbemerkung], Bremen [Rz. 1.2], Hamburg [Präambel], Köln [Präambel], Lübeck [Präambel], Mainz [Einleitung von Teil A], NRW [Rz. 1.3.5], Stuttgart [Einleitung von Teil A]).

Stellvertrend für viele andere Beiträge lässt sich eine Aussage von Klaus-Peter Müller, ehemaliger Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, anführend, der in einer Rede einmal die Bedeutung einer gelebten Abweichungskultur hervorhebte:

„Für das Verständnis des Kodex ist es äußerst wichtig, sich bewußt zu machen, dass eine Abweichung von den Kodex-Empfehlungen nicht nur rechtlich zulässig ist. Sie kann für ein Unternehmen aus bestimmten Gründen auch durchaus sinnvoll und geboten sein. Eine Abweichung muss nicht Ausdruck schlechter Corporate Governance sein. Unternehmen können und sollten durchaus eine sinnvolle Abweichungskultur entwickeln.

Gerade diese Flexibilität des Kodex ermöglicht die Berücksichtigung unternehmens- und branchenspezifischer Bedürfnisse. Hierin liegt ein wesentlicher Vorteil des Kodex gegenüber dem zwingenden Recht. Es kommt nur darauf an, dass die Abweichung und die Gründe dafür in der Entsprechenserklärung offengelegt werden.“

Klaus-Peter Müller (ehemaliger Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex)

Preis für reflektierte Governance-Praxis:

Beispielgebende Entsprechenserklärungen mit präzisen Kurzbegründungen zeigen, wie die Umsetzung des comply-or-explain Prinzips in aussagekräftiger und schlanker Form möglich ist. Aufsichtsorgan und Gesellschafter sollten ein „Tick the Box“ nicht zulassen, sondern müssen Entsprechenserklärungen mit hoher Qualität gewährleisten. Sie sind ein wichtiger Beitrag, um von Regeln und Buchstaben auf dem Papier zu einer gelebten Corporate Governance zu kommen. Transparente Entsprechenserklärungen mit guten Abweichungsbegründungen sollten daher sowohl auf der Regelebene als auch in der praktischen Umsetzung mit besonderem Fokus diskutiert werden.

In diesem Kontext wird der „Preis für reflektierte Governance-Praxis“ für beispielgebende Ansätze zu Begründungen von Abweichungen in Entsprechenserklärungen sowie zur Struktur/Gestaltung von Entsprechenserklärungen verliehen. Ausdrücklich auszeichnungsfähig sind auch Entsprechenserklärungen mit einzelnen positiven Ansätzen und auch Entsprechenserklärungen ohne erklärte Abweichungen!

Einen aktuellen Foliensatz zum „Preis für reflektierte Governance-Praxis“, der von Prof. Papenfuß (wissenschaftlicher Vorsitzender der Expertenkommission D-PCGM) auf dem Tag der Beteiligungsverwaltung in Hamburg vorgetragen wurde, können Sie hier herunterladen.

Preisträger/-innen 2022:

Die Expertenkommission gratuliert den Preisträger/-innen des „Preises für reflektierte Governance-Praxis 2022“:

In der Kategorie Abweichungsbegründungen:
| Axel Nawrath (Vorstandsvorsitzender) & Edith Sitzmann (Vorsitzende Verwaltungsrat), L-Bank Staatsbank für Baden-Württemberg
| Tanja Gönner (Vorstandssprecherin) & Martin Jäger (Vorsitzender Aufsichtsrat), Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH

In der Kategorie Struktur und Gestaltung:
| Dr. Jens Scholz (Vorstandsvorsitzender) & Dr. Oliver Grundei (Vorsitzender Aufsichtsrat), Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
| Martin Kaloudis (Vorsitzender Geschäftsführung) & Dr. Thomas Daum (Vorsitzender Aufsichtsrat), BWI GmbH

Studie „Reflektierte Führungskultur durch Public Corporate Governance Kodizes: Umgang mit comply-or-explain und Digitalisierungswege“ (PCGK-Report 2022):

Die Preisträger/-innen wurden auf Grundlage einer empirischen Analyse von Entsprechenserklärungen ausgewählt. Daneben sind Organisationen und Akteure/-innen eingeladen worden, Vorschläge einzubringen und können sich auch selbst bewerben.

Im Kontext des Preises für 2022 wurden die Befunde der empirischen Analyse in der Studie „Reflektierte Führungskultur durch Public Corporate Governance Kodizes: Umgang mit comply-or-explain und Digitalisierungswege“ (PCGK-Report 2022) veröffentlicht. Die Studie kann hier auf der Internetseite des Lehrstuhls für Public Management & Public Policy heruntergeladen werden.

Die Studie betrachtet jeweils die 10 größten (Bilanzsumme) öffentlichen Unternehmen (Mindestbeteiligung 50 %) von 24 Gebietskörperschaften mit PCGK in Deutschland – Bund, 8 Bundesländer und 15 Städte. Insgesamt wurden 111 Entsprechenserklärungen für das Geschäftsjahr 2019 analysiert. Darüber hinaus waren Gebietskörperschaften, öffentliche Unternehmen und alle mit der Public Corporate Governance befassten Akteure/-innen eingeladen, Entsprechenserklärungen für die Preisverleihung zu nominieren.

Nominierung für die Preisverleihung 2023:

Für die Preisverleihung 2023 nimmt die Expertenkommission D-PCGM ab jetzt Nominierungen von Entsprechenserklärungen entgegen. Für die Nominierung ist es nicht erforderlich, eine vollständig vorbildliche Entsprechenserklärung vorzuweisen. Ausdrücklich auszeichnungsfähig sind auch Entsprechenserklärungen mit einzelnen positiven Ansätzen und auch Entsprechenserklärungen ohne erklärte Abweichungen! Nominierungen können an kontakt@pcg-musterkodex.de gesendet werden.